Hermann Ieland

Arbeit ist nicht (mehr) das Leben
In letzter Zeit liest man viel über die Kraftlosigkeit und Innovationsarmut in unserem Land. Die nicht enden wollende Debatte um Homeoffice, flexible Arbeitszeiten oder Work-Life-Balance geistert durch die Medien und sozialen Plattformen. Auch Diskussionen über die Unattraktivität von Arbeit durch hohe (?) Sozialleistungen wie das Bürgergeld finden immer wieder ihren Weg in die Presse.
Diese Meldungen und meine eigenen beruflichen Erfahrungen mit Arbeitnehmern haben mich zum Nachdenken angeregt.
Doch zunächst ein paar Fakten. In Deutschland lebten im Jahr 2022 ca. 84,4 Millionen Menschen. Davon waren ca. 57,1 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 67 Jahren. Davon waren ca. 39,1 Millionen Menschen erwerbstätig. Davon waren nur 22,18 Mio. Personen in einem Vollzeitarbeitsverhältnis beschäftigt. Weitere 4,8 Millionen Personen arbeiteten in einem Teilzeitarbeitsverhältnis von mehr als 20 Stunden pro Woche. Weitere 5,9 Millionen Menschen arbeiteten in Teilzeit unter 20 Stunden pro Woche sowie in Minijobs. Der Rest verteilte sich auf Selbständige, Leiharbeitnehmer und befristet Beschäftigte. Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten und generell der Erwerbstätigen ist zwar in absoluten Zahlen höher, in Relation zur Gesamtbevölkerung in Deutschland jedoch deutlich niedriger als noch vor 10 Jahren.
Was bedeutet das? Nun, ich denke, dass die heutige Generation, die aus der Mittelschicht kommt, heute in einer ganz anderen Situation ist als ihre Eltern und Großeltern. Mit der Aussicht, das Haus der Großeltern zu erben (oder bereits geerbt zu haben) und irgendwann auch das Haus der Eltern, fragt man sich, warum man sich beruflich über ein normales (eher geringes) Maß hinaus engagieren soll. Auch ältere Arbeitnehmer, die ihr Haus bereits abbezahlt haben, stellen sich diese Frage (zu Recht). Diejenigen, die eher unqualifiziert sind oder aus anderen Gründen Sozialleistungen beziehen, fragen sich, wozu sie sich angesichts der hohen Steuern und Sozialabgaben noch engagieren sollen. Ältere Arbeitnehmer, die ihr Haus schon abbezahlt haben, fragen sich das auch (zu Recht). Diejenigen, die eher unqualifiziert sind oder aus anderen Gründen Sozialleistungen beziehen, fragen sich, wozu sie bei hohen Steuern und Sozialabgaben arbeiten sollen, wenn sie mit null Aufwand nur etwas weniger Geld durch Sozialleistungen zurückbekommen.
Die Essenz daraus ist, dass bei vielen Menschen die Arbeit nicht mehr im Mittelpunkt steht, sondern nur noch als notwendiges Übel oder eben als Mittel zum Zweck angesehen wird. Die zweite Essenz daraus ist, dass die unbeliebte Arbeit oft an ausländische Zuwanderer geht, die glauben, sich damit etwas aufbauen zu können. Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass Fleiß und Sorgfalt bei vielen abhängig Beschäftigten eher einer Beamtenmentalität gewichen sind. Auf morgen verschieben. Diese Einstellung habe ich auch bei dem einen oder anderen Kollegen erlebt. Ich habe das auch während meines Auslandsstudiums in Spanien erleben dürfen, mañana eben.
Das kann ich absolut nachvollziehen. Warum sollte man sich für Dritte (Vorgesetzte, Firmeninhaber etc.) verbiegen? Längst nicht alle Überstunden werden bezahlt. Mitarbeiter sind in der Regel austauschbar. Aus Erfahrung weiß ich, dass sich in 2-3 Jahren niemand mehr an besondere Erfolge oder Fleiß erinnert, geschweige denn an die Person selbst. Kommt die nächste Umstrukturierung, wird man vielleicht entlassen, versetzt, zu einem Aufhebungsvertrag eingeladen oder rausgemobbt. Das Lob ist schnell im Mund und das Lob ist schnell wieder weg. Das Gehalt wird nur für durchschnittliche Arbeit gezahlt. Leistungsbedingte Kündigungen durch den Arbeitgeber sind vor Gericht schwer durchzusetzen. Also nichts zu befürchten. Ich habe mal von einer Managerin in einem Konzern gelesen, die die Faulheit ihrer Mitarbeiter offen angesprochen hat und kurze Zeit später deswegen ihren Job verloren hat. Also offen aussprechen sollte man das auch nicht. Und selbst wenn der Arbeitgeber im Einzelfall eingreift, ist der Betriebsrat oft nicht einverstanden. Viele Menschen suchen den sogenannten Purpose, die Selbstverwirklichung im Beruf. Ich glaube nicht, dass es das im klassischen Angestelltenverhältnis gibt, und das ist auch nur eine Lüge der Arbeitgeber, denn am Ende zahlt es sich nur für den Arbeitgeber aus. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer denken daher heute zu Recht: Warum sich anstrengen? Warum Überstunden? Warum die berühmte Extrameile gehen? Warum aufsteigen? Warum neue Ideen einbringen? Warum mehr Gehalt, wenn am Ende sowieso nur die Hälfte netto übrig bleibt? Ich für meinen Teil habe eine andere Arbeitsmoral und tausend gute Argumente dafür. Aber insgeheim glaube ich nicht an deren Allgemeingültigkeit, sondern es ist einfach meine Einstellung zu meiner Arbeit. Grundsätzlich war der Arbeitsethos der Babyboomer-Generation, dass es den Kindern besser gehen soll. Das gilt jetzt für viele zwischen 20 und 40. Ich glaube, es ist ganz normal, dass sie sich zu Recht fragen, wozu die ganze Arbeit, wenn sie das Wesentliche schon haben. Das kann ich gut verstehen. Bleibt nur den Mittellosen, den Unzufriedenen oder den Ehrgeizigen, sich durch Leistung und Fleiß etwas aufzubauen.

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