Hermann Ieland

Des einen Schuld ist des anderen Besitz
Ich staune immer wieder über die wirtschaftliche Naivität, mit der Menschen durchs Leben gehen. Das betrifft vor allem das Wissen über Besitz und was er „wert“ ist. Wenn man Besitz genauer betrachtet, muss man differenzieren.
Bis zum Bretton-Woods-Abkommen war Geld durch Gold gedeckt. Das wurde inzwischen abgeschafft. Geld ist also nicht durch einen „Gegenwert“ gedeckt. Es ist eine reine Fiktion, ein reines Vertrauen darauf, dass man für Geld in der Zukunft etwas anderes bekommt. Bankguthaben sind nichts anderes als Forderungen, die man gegenüber der Bank hat. Aber worin genau besteht diese Forderung? Was kann man eigentlich von der Bank verlangen? Im Zweifelsfall nichts! Oft gibt es Bargeldlimits. Hast Du schon einmal versucht, 100.000 € in bar abzuheben? So viel Bargeld hat keine Bank einfach so herumliegen. Auch die Absicherung von Bankguthaben ist auf maximal 100.000 € pro Bank begrenzt. Andere Sicherungssummen sind Märchen, die im Ernstfall niemals eingehalten werden können. Alles in allem sind Bankguthaben also im Grunde wertlos. Guthaben sind also nichts anderes als Schulden der Bank. Dem stehen die Kreditnehmer gegenüber, die Schulden bei der Bank haben. Die Bank macht nichts anderes, als durch Kreditvergabe Geld aus dem Nichts zu schöpfen und den Kapitaleignern einen fiktiven Geldbesitz auszuweisen. Im Zuge der Euro-Einführung hat die Zentralbank die Geldmenge erheblich ausgeweitet und den Gegenwert, also die Kaufkraft, verringert. Geschäftsbanken können Geld einfach durch Kreditvergabe schöpfen und benötigen dafür nur einen geringen Gegenwert in Form von Sparguthaben oder anderen Vermögenswerten. Die Untergrenze dieses Deckungsverhältnisses liegt bei ca. 8%! D.h. für 100 € Kredit müssen nur 8 € Gegenwert vorhanden sein. Der Rest ist eine Wette auf die Rückzahlung. Dass das gewaltig schief gehen kann, haben wir in letzter Zeit immer wieder gesehen, z.B. Credit Suisse oder die Banken im Silicon Valley. Das ganze System lebt nur davon, dass die Menschen weiterhin Vertrauen in das Geldsystem haben und nicht auf die Idee kommen, sich über einen Bankenrun Geld zu besorgen, was im Zweifelsfall sowieso nicht funktioniert. Auch wenn wir es nicht merken, die Notenbanken sorgen immer wieder dafür, dass genau dieses Vertrauen erhalten bleibt. Und wenn die Notenbank das nicht mehr schafft, dauert es in der Regel nicht lange, bis die Regierungen uns anlügen, dass die Einlagen sicher sind. Auch das haben wir schon erlebt. Tante Angela lässt grüßen. Es basiert auf nichts anderem als auf unserem Vertrauen. Wenn das nicht mehr da ist, funktioniert unser Wirtschaftssystem nicht mehr. Für die Oberschicht, die hohe Bankguthaben hat, wäre das praktisch ein Totalverlust, weil das, wie beschrieben, nichts anderes ist als die Schulden anderer Leute. Denn Geld ist per definitionem ein Schuldtitel.
Auch Konsumgüter sind nicht wirklich Besitz in dem Sinne, dass sie einen Wert haben. Denn sie verlieren sehr schnell ihren Wert, also den Preis, den man beim Wiederverkauf erzielen kann. Das gilt für alle Waren, die in großen Mengen produziert werden.
Edelmetalle als Anlage haben eigentlich keinen Nutzen. Sie sind eine Wette darauf, was andere im Falle eines Wiederverkaufs dafür „bezahlen“ würden. Die Anlage darin ist hochspekulativ.
Immobilien oder Grundstücke sind zwar Eigentum in dem Sinne, dass der Staat einem die Nutzungsrechte daran überträgt, aber sie erfordern ständige Investitionen, um ihren Wert zu erhalten. Als ich das Haus meines Großvaters verkaufte, habe ich einmal ausgerechnet, wie hoch der Wertzuwachs des Hauses über 30 Jahre war. Es waren 5% pro Jahr, nach Abzug aller Investitionskosten. Wenn man das mit der Inflation vergleicht, gibt es real überhaupt keine Wertsteigerung! Nur bei Spekulationsblasen kann man auf eine reale Wertsteigerung hoffen. Aber auch das ist eine Wette.
Aktien, Anleihen und ETFs unterliegen in ihrem „Wert“ der Bewertung des Unternehmens, die sich primär aus den Jahresabschlüssen ergibt. Dort kann man vieles legal „gestalten“ oder manchmal auch illegal verschleiern, was nur in den seltensten Fällen auffällt, wie z.B. bei Wirecard. Außerdem weiß man nie, wie sich das Geschäft entwickelt und ob es das Unternehmen in ein paar Jahren noch gibt. Es ist also eine Wette darauf, dass das jeweilige Unternehmen korrekt bilanziert, ein kluges Kostenmanagement betreibt und gute Produktideen für die Zukunft hat. 
Was ist die Essenz davon? Wenn wir dem Geld hinterherlaufen, vertrauen wir darauf, dass es in der Zukunft gegen etwas anderes eingetauscht werden kann. Wirklichen Besitz gibt es eigentlich nicht, denn der Wert ist veränderlich, er steigt und fällt und hängt immer davon ab, was andere zu zahlen bereit sind. Natürlich haben alle das gleiche Ziel, ihren Besitz für die Zukunft zu erhalten. Aber im Grunde ist Geld nur eine fiktive Idee und ein Vertrauen darauf, dass wir damit in der Zukunft Waren kaufen können. Unser Geldsystem ist sehr fragil und funktioniert nur durch die ständigen Intervention der Zentralbanken und Regierungen. Ich gehe davon aus, dass es in den nächsten Jahren weitere Finanzkrisen geben wird, die zu Währungsreformen (und Währungscrashs) führen werden. Das kann man gerade sehr gut in der Türkei oder Südamerika beobachten. Zurück auf Null, damit das Rennen neu starten kann. Das ist auch eine menschliche Wiederholungsschleife. Man lässt die Menschen in einem bestehenden System eine Zeit lang um „Besitz“ wetteifern, und wenn große Teile der Bevölkerung mittellos geworden sind, wenn daraus Unruhen entstehen, wenn daraus Krieg entsteht, dann macht man eine Währungsreform. Das heißt übersetzt, alles zurück auf Null, jetzt geht es wieder von vorne los. Ich denke, das Entscheidende ist die Erkenntnis, dass „Besitz“ an sich überhaupt nichts zur Lebenserhaltung beiträgt, sondern nur und ausschließlich die Befriedigung von (Lebens-) Bedürfnissen wie Nahrung, Wärme, Sicherheit, Gesundheitsversorgung, Zugang zu Wissen und Information. Würden wir unser Wirtschaftssystem nur darauf ausrichten, hätten wir alle dramatisch weniger zu tun und könnten unsere Ressourcen viel gezielter für ein gutes Lebensumfeld einsetzen. Aber das Streben nach einem höheren sozialen Status, der in unserem System durch Besitz definiert wird, ist ein tief verwurzelter menschlicher Wesenszug, der nicht leicht zu überwinden ist. Das würde Einsicht voraussetzen, und ich glaube nicht, dass die meisten Menschen dazu in der Lage sind, eben weil es der Natur unserer Psyche widerspricht.

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