Hermann Ieland

Warum Einfachheit und Bescheidenheit der Anfang und nicht das Ende sind
Berufliche Überforderung und private Probleme brachten mich vor einigen Jahren zum ersten Mal in meinem Leben an die Grenze meiner psychischen Belastbarkeit. Nur eine Notbremsung rettete mich vor einer seelischen Schieflage.
Ich zog mich für einige Zeit in ein deutsches Benediktinerkloster in der Eifel zurück und ließ alle Technik zu Hause. Heute würde man das Retreat nennen. Danach ging es mir besser. Diese Einkehr war geprägt von Besitzarmut, Tagesstruktur, einfachem Essen und Natur.
Eine andere Situation war die Auflösung eines sehr großen Haushalts durch einen Todesfall in der Familie, den ich alleine stemmen musste. Mir wurde klar, dass man nichts mitnimmt. Am Ende bleibt alles hier und das Meiste landet im Müll, auch wenn man versucht, die Lebensdauer und Funktionsfähigkeit irgendwie zu verlängern. Nachdem ich versucht hatte, alles, so gut es ging, einer Funktion oder letztlich der Entsorgung zuzuführen, wurde mir klar: Nie im Leben sollte ich für so etwas verantwortlich sein wollen. Wie viel Zeit hat mich dieses fremde Zeug gekostet.
Der dritte Ausgangspunkt war ein Aufenthalt in der Sahara. Ich habe gemerkt, dass die Ruhe, die Reizarmut, die Freiheit zu gehen, wohin man will, und die Loslösung von gesellschaftlichen Mustern und Besitztümern Frieden bringt.
Und was bedeutet Einfachheit und Bescheidenheit konkret? Sich selbst und andere nicht zu wichtig nehmen. Eher nein sagen zu Angeboten. Materiell mit wenig auskommen, denn jeder Besitz kostet Aufmerksamkeit und lenkt von dem ab, was der Geist stattdessen braucht. Den Konsum und damit die Arbeit reduzieren.
Die entscheidende Frage ist natürlich: Was steckt dahinter? Ich glaube, es ist die Defokussierung von äußeren Einflüssen und Zwängen und das Bewusstsein von wahrer Freiheit. Das bedeutet, nicht mehr auf das zu reagieren, womit man konfrontiert wird, sondern in sich hinein zu hören, was die Seele wirklich braucht. In unserer heutigen Welt reagieren wir mehr als dass wir agieren. Wir konsumieren, wir arbeiten, wir konsumieren, wir berauschen uns, wir schauen zu. Aber wir hören wenig auf uns selbst. Wir betäuben den Geist, aber wir stillen nicht seinen Hunger nach Kontemplation und freier Entfaltung. Ich glaube, dass der Geist uns sagt, was wir tun sollen, aber unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft sagen uns, dass wir ihn ruhigstellen und betäuben sollen, weil das nicht im Sinne derer ist, die reich sind und das Sagen haben. Unser Geist sucht nach Sinn, nach Zielen. Unsere Wirtschaft und Gesellschaft hingegen streben nach Produktivität, Steuereinnahmen und Sozialabgaben. Einfachheit und Bescheidenheit sind notwendige Voraussetzungen für freie Entfaltung. Besitz, Arbeit und gesellschaftliche Normen dagegen lenken ab und betäuben. Jedes Haus braucht ein Fundament. Für Zufriedenheit, Wohlbefinden und Sinnhaftigkeit sind das aus meiner Sicht Einfachheit und Bescheidenheit. Darauf baut alles auf.

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