Gerade wenn ich nicht zu Hause bin, sei es im Urlaub oder auf Dienstreise, und viele neue Eindrücke auf mich einprasseln, stelle ich mir immer wieder die Frage: Was macht den Menschen aus? Was hilft ihm, was schadet ihm? Was entspricht seiner Natur, welches evolutionäre Erbe tragen wir in uns? Sind wir uns dessen bewusst und leben wir danach?
Die Antwort auf die Frage, wer wir eigentlich sind, ist eigentlich ganz einfach. Wir sind evolutionär Meister darin, mit Mangel zu leben und Mangel zu ertragen. Das macht uns stark und widerstandsfähig. Menschen bleiben gesund, wenn sie mit wenig Nahrung auskommen und diese Nahrung einfach, also unverarbeitet ist. Menschen fühlen sich frei, wenn sie wenig Besitz haben und selbstbestimmt leben können. Menschen fühlen sich wohl in geordneten, strukturierten, leeren und naturnahen Umgebungen.
Wie leben wir im Gegensatz dazu?
Nahrung: Wir essen uns im wahrsten Sinne des Wortes früher zu Tode, als es nötig wäre. Wir essen zu viel, zu verarbeitet und völlig gegen unsere Natur. Der Mensch braucht den Mangel, das Fasten, die Reduktion. Letztlich führt uns das Essen nur in die Krankheit oder zu einem schnelleren Ende.
Freiheit: Wir
begeben uns in eine selbstgewählte Abhängigkeit und Unfreiheit,
indem wir Angestellte sind. Wir haben 30 Tage Urlaub, die
Wochenenden, die Feiertage und vielleicht noch Überstundenabbau für
uns. Der Rest gehört dem Arbeitgeber. Wir müssen uns krank melden
und jeden Urlaub beantragen. Wir haben nicht die Wahl, ob wir dieses
System von Zeit gegen Geld wollen, wir haben nur die Wahl, welche
Arbeit wir machen wollen. Wir haben in unserem Wirtschaftssystem
nicht die Wahl, ob wir mitmachen wollen oder nicht. Das fängt für
mich schon in der Schule an. Das ist für mich alles andere als
Freiheit, sondern das Gegenteil. Wir können dem nicht entkommen,
ohne jemandem auf der Tasche zu liegen. Der Mensch will Herr seiner
selbst sein, das kann er in unserer Wirtschaft nicht. In Deutschland
kommt noch die absolute Regelungswut in Form von Gesetzen und
Verordnungen hinzu. Eigentlich kann man in Deutschland als Laie kaum
noch gesetzeskonform handeln. Wir sind in Vorschriften gefangen. Das
ist absolute Unfreiheit.
Umfeld: Ich glaube, dass die Umwelt
einen massiven Einfluss auf die menschliche Psyche hat. Von Natur aus
bevorzugen wir leere, schlichte, aufgeräumte Räume. Darin fühlen
wir uns wohl und es hilft uns, unseren Geist zu strukturieren, unsere
Gedanken zu sortieren und zu spüren, was wir brauchen. Und was tun
wir stattdessen? Wir kaufen alles Mögliche und vermüllen unsere
Wohnung. Uns wachsen die Dinge über den Kopf und belasten uns. Wir
leben im Chaos, im Überfluss und in vollgestopften Umgebungen.
Was
ist die Schlussfolgerung aus all diesen Überlegungen? Die Natur des
Menschen liegt in der Einfachheit, in der Freiheit, im
selbstbestimmten Umgang mit unserer so kostbaren Lebenszeit, im
selbstgewählten Verzicht und in der Ordnung. Und wie leben wir? Ganz
im Gegenteil. Sei es im Angestelltendasein, sei es in der Wirtschaft,
sei es im unreflektierten Konsum, in den wir naive Menschen uns
selbst hineinbringen. Und wie lösen wir das? Erkennen, sich
emanzipieren, sich aus der Misere befreien, so schnell wie möglich.
Eine Antwort
Lieber Unbekannter,
ich kann deinen Thesen nicht in allen Punkten zustimmen. Häufig schimpfen wir über Deutschland, aber das Sprichwort „Das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite“ trifft oft den Kern. Meine Oma sagte immer: „Egal, wohin du im Leben gehst, du nimmst dich selbst immer mit.“ Damit meinte sie, dass auch hier in Deutschland jeder die Freiheit hat, sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Natürlich gibt es Einflüsse aus dem Elternhaus, doch ich kenne viele, die als Gastarbeiter hierherkamen, sich emporgearbeitet haben und heute ihren Lebensstandard und ihre Lebensweise selbstbestimmt führen. In vielen anderen Ländern wären solche Möglichkeiten weitaus begrenzter.
Es erschreckt mich immer wieder, wie viele Menschen in Deutschland leben und dennoch ständig das Negative betonen. Für meinen Teil bin ich der Meinung, dass wir dankbar sein sollten, in einem Land zu leben, das uns Wasser, Nahrung und Bildung bietet – ein Land, in dem Frauen nicht unterdrückt werden und in dem wir das Recht haben, unsere Religion frei auszuüben. Wir haben die Chance, unser Leben selbst zu gestalten – sei es in der Karriere, in der Familienplanung oder auch in der bewussten Entscheidung, aus dem gesellschaftlichen Mainstream auszubrechen. In Deutschland haben wir diese Freiheit.
Es ist nun mal so, dass wir Menschen Rudeltiere sind – wenn eines der Schafe in eine andere Richtung läuft, erscheint uns das oft seltsam. Aber das bedeutet nicht, dass der Rest des Rudels dazu gezwungen wird, denselben Weg zu gehen. Auch die oft geäußerte Kritik an unserem Konsumverhalten, etwa „Wir essen uns zu Tode“, finde ich etwas übertrieben. Es ist auf jeden Fall die bessere Alternative, sich nicht zu Tode zu hungern. Wir leben in einer Zeit und in einem Land, in dem wir unsere Intelligenz dazu nutzen können, den Komfort zu suchen – sei es beim Online-Shopping. Wir sitzen bequem auf unserer Couch, jemand packt unsere bestellten Waren ein, ein anderer liefert sie bis vor die Tür. Und wenn uns etwas nicht gefällt, schicken wir es einfach zurück. Dass diese Rücksendungen häufig vernichtet werden, ohne einen wirklichen Nutzen zu haben, nenne ich in der Tat schizophren. Auf der einen Seite beklagen wir den schnellen, oberflächlichen Konsum, der die Welt prägt, aber auf der anderen Seite fehlt uns der Elan, ins Geschäft zu gehen, Dinge anzuprobieren, Menschen zu treffen und vielleicht auch mal etwas mehr auszugeben, um den kleinen Laden von nebenan zu unterstützen.
Wir haben es so gut in unserer Zeit und in unserem Land. Unsere Großeltern sind in jungen Jahren an Krankheiten gestorben, haben im Krieg alles verloren, litten Hunger und entbehrten vieles. Heute jedoch jammern wir, dass die Welt böse sei und von Konsum beherrscht wird. Dabei sollten wir uns bewusst machen, dass jeder, der es sich leisten kann und ehrlich dafür gearbeitet hat, auch ein Stück Luxus verdient – sei es in Form von Bildung, gutem Essen oder Reisen. Aber auch dafür muss man etwas tun. Unsere Vorfahren mussten Büffel jagen, um zu überleben. Sie konnten sich nicht ans Lagerfeuer setzen und sagen: „Die Welt ist so schlecht, ich steige aus dem System aus und esse nur noch Rinde.“
Ich für meinen Teil liebe auch die kleinen Dinge, die mein Zuhause gemütlich machen. Während manche es schlicht und aufgeräumt bevorzugen, brauche ich ein paar kleine Schätze, die mir das Gefühl von Heimeligkeit vermitteln.
Was die Nahrung betrifft, stimme ich dir zu: Je weniger verarbeitet, desto besser. Aber ich gebe zu, dass ich ein gutes Teller Spaghetti einem unappetitlich zusammengemischten Körnerpampe bevorzuge. 😉
Auch bei der Arbeit haben wir durch Bildung die Wahl, was wir werden möchten. Noch vor nicht allzu langer Zeit wurden Berufe von Vater zu Sohn weitergegeben. Heute können wir uns entscheiden, ob wir Töpfer, Arzt, Schreiner, Dachdecker oder was auch immer werden möchten – und je nachdem, wie wir uns anstellen, wird unsere Leistung entlohnt.
Was das Thema Krankmeldung oder Urlaubsanmeldung betrifft, so sehe ich das als Teil des sozialen Verhaltens. Es gehört dazu, dem Gegenüber Bescheid zu sagen, wenn man ausfällt, damit niemand alleine dasteht. Genauso wie man sich im Privatleben nicht einfach aus Verabredungen zurückzieht, ohne den anderen zu informieren, gehört es zur sozialen Verantwortung, solche Dinge in der Arbeit zu regeln.
Ich stimme dir zu, dass das Schulsystem nicht perfekt ist. Aber dennoch bleibt Bildung ein Luxus, und ich bin dankbar, dass ich als Frau in einem freien Land aufwachsen konnte und die Möglichkeit hatte, Bildung zu genießen. Genauso sehe ich das im Arbeitsleben.
Zum Thema Umwelt: Natürlich beeinflusst uns die Welt um uns herum, und wir sollten uns ihrer Verantwortung bewusst sein. Wenn wir uns nicht um die Umwelt kümmern, würden wir wohl ein anderes, weniger lebenswertes Dasein führen.
Ich finde, wir sollten mehr Demut zeigen. Wir sollten die guten und positiven Seiten des Lebens sehen und nicht ständig darüber nachdenken, wie schlecht alles ist.